Als wir zurückkommen, erwartet uns
zu unserer Überraschung Flaviano im Guest-House. Flaviano ist der Leiter des
Jugendzentrums in Baucau und er hat noch einen Bekannten, Agostino, dabei. Pia
vermutet, dass er neugierig ist und die Fremden aus Deutschland näher kennen
lernen will. Wir laden die beiden zum Essen ein, aber die Platten mit Reis,
Gemüse, Fleisch, Salat, die für uns vorbereitet sind, reichen nicht so recht
für alle. Wir bestellen mehr und erleben eine etwas genervte Gastgeberin, die
jetzt nochmal kochen muss. Sie tut es und ich häufe Flaviano noch richtig viel
Essen auf den Teller und alle lachen, weil er sich wehrt. Mir kommt es so vor,
als hätte er sich nicht getraut, sich zu bedienen, weil er vielleicht fürchtet,
dass er das Essen bezahlen muss.
Nach dem Essen gehen wir Richtung
Badeplatz. Ein bisschen oberhalb ist eine Aussichtsplattform und Flaviano und
Agostino wollen unbedingt dort bleiben, nicht ans Wasser gehen. Ich leiste
ihnen Gesellschaft, wir plaudern über deutsche Autos, öffentlich-rechtlichen
Rundfunk bei uns, über die trübe Zukunft Timor-Lestes, weil Beamte in Dili den
ganzen Tag Computerspiele spielen, weil sie nicht wissen, was sie zu tun haben.
Er erzählt, dass seine Eltern ihn als Kind mehrere Jahre am Matebian, einem
heiligen Berg, versteckt haben, weil während der Besatzungszeit Kinder
verschwunden sind. Später haben sie ihn zu Verwandten nach Dili gebracht. Nach
seinem Studium in Jakarta hat er als Volunteer in der Community Jugendarbeit
gemacht und ist später als Jugendzentrumsleiter angestellt worden. Wir sprechen
natürlich Englisch und ich muss mich sehr anstrengen, ihn zu verstehen.
Keinesfalls will er mit zum Wasser kommen, denn das ist ein „MässikPläis“. Ich
verstehe nichts. MässikPläis? Ah, vielleicht Magic Place? Magischer Ort? Pia
kommt und wir fragen gemeinsam. Langsam, ganz langsam rückt Flaviano mit der
Sprache heraus:
Der Fluss ist ein Heiliger Platz
und es kann gefährlich sein, solche heiligen Orte aufzusuchen. Man kann krank
werden oder es können Unglücke geschehen, wenn Unbefugte Heilige Plätze
betreten. Eigentlich ist es ein guter Ort, aber heilige Orte sind eben immer
auch gefährliche Orte. Es gibt viele solcher Plätze in Timor-Leste, die
gleichzeitig heilig und gefährlich sind. Das gilt allerdings nicht für uns
Malae, für uns Ausländer. Heilige Orte dürfen nur Menschen aus der Community
des Ortes betreten. Deshalb hat Flaviano Agostino mitgebracht, der aus LoiHunu
stammt. Für Timorer ist es nicht üblich, irgendwohin zu fahren, um irgendetwas
zu besichtigen. Die Community fragt dann: „Was willst Du hier“. So muss es auch
gewesen sein, als Flaviano und Agostino am Guesthouse angekommen sind. Erst als
sie erklärt haben, dass sie uns besuchen wollen, war das O.K.. Die beiden
Männer sprechen sehr leise, sind sichtlich angespannt, fühlen sich unwohl an
diesem Platz. Irgendwann lassen sie sich überreden, doch mit zum Wasser zu
kommen, aber froh sehen sie nicht aus.
Noch wunderlicher ist, was
Flaviano dann erzählt. Wenn Leute in ländlichen Gebieten eine Malae im hellen
Sonnenlicht sehen, ähnelt der so sehr den Statuen in den Kirchen, dass die Leute
denken, sie hätten eine Erscheinung. Davon dürfen sie nicht weiter erzählen,
sonst könnten sie krank werden oder sterben.
Priester gehen in Timor-Leste zum
Teil mit ihren Gemeinden an heilige Orte, um dort Schalen mit Essen für die
Geister abzustellen. Katholizismus und der alte Geisterglaube mischen sich. Die
traditionelle Religion Timors war bis ins 20.Jahrhundert der Animismus.
Tieropfer wurden den Geistern der Ahnen und den Geistern, die in Wäldern,
Steinen und Gewässern leben, dargebracht. In vielen Dörfern sehen wir
UmaLuliks. Das sind Häuser für die Ahnen. Sie stehen auf Stelzen in der Nähe der
Wohnhäuser und sehen durchaus noch benutzt aus.
Durch Flavianos Geschichten
verändert sich der Platz am Wasser für uns. Wo wir gestern noch ausgelassen
gekreischt und geplanscht haben, sind wir heute fast ehrfürchtig und haben das
Gefühl, vorher zu laut gewesen zu sein.
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