Alle wollen wissen, woher wir
kommen und warum wir hier sind. Ich antworte auf Englisch und wir verstehen uns
einigermaßen. Ich spreche in paar Mal von Pia und merke, dass da irgendwas
nicht stimmt. Die Mädchen sprechen von ihr als Mana Pia. Es gilt nämlich als
unhöflich, über eine ältere Person nur mit dem Namen zu sprechen oder sie nur
mit dem Namen anzusprechen. Man setzt immer „Mana“ vor den Namen. Mana bedeutet
große Schwester. Maun bedeutet großer Bruder. Mana Pia und Maun Holger also.
Ganz alte Leute sind dann Tia oder Tiu und Kinder sind Alin. Wenn man aber eine Person mit Tia anspricht
und sie sich noch gar nicht so alt fühlt, ist man wieder in den Fettnapf getreten.
Allerdings würden die Timoresen niemals direkt sagen, dass man etwas falsch
gemacht hat. Höflichkeit ist das wichtigste. Es wird immer und überall höflich
gelächelt. Direkte Kritik gibt es nicht. Bei vorsichtiger Kritik fühlen sich
die Kritisierten sofort auf den Schlips getreten. Möglicherweise sind das
Auswirkungen der jahrzehntelangen Gewaltherrschaft. Und es werden immer
Höflichkeiten ausgetauscht, bevor man zur Sache kommt. Pia findet das manchmal anstrengend.
Holger hat mit dieser Höflichkeit
eine ganz eigene Erfahrung gemacht. Als er neu in Dili war, hat er über Pia
immer als seine Lebensgefährtin Pia gesprochen, auf Tetum Odamatan.Alle
Timoresen haben freundlich genickt. Wochenlang. Bis er gemerkt hat, dass das
Wort OdamatanHaustür bedeutet und er eigentlich das Wort Namurada verwenden
wollte. Er hat Pia also immer als seine Haustür vorgestellt und bezeichnet.
Benedict hat irgendwann den
Workshop verlassen und sich zu anderen Jugendlichen im Jugendzentrum gesellt.
Ein Mädchen wollte Deutsch lernen und hatte dazu ein Buch, das mit Fehlern
gespickt war. Benni hat versucht, ihr auf Englisch zu erklären, was alles
falsch war. So war auch er schnell mit jungen Timoresen im Gespräch.
Am Freitag,
23. August 2013, sind wir vormittags im Jugendzentrum und nachmittags im
Schwimmbad. Dem einzigen Schwimmbad in Timor-Leste. Die Portugiesen haben es
gebaut. Frisches Quellwasser füllt das eine große Becken. Drumherum sind Liegen
aus Beton, dahinter Liegewiesen mit runden, fest installierten Sonnenschirmen
aus Schilf, eingebettet in einen Garten mit Palmen und anderen großen Bäumen.
Endlich mal liegen, chillen, lesen, schlafen, schwimmen.
Die Nacht haben wir zum ersten Mal
in einem Guesthouse verbracht. Einfacher Standard für uns. Pia allerdings ist
überrascht, dass es sogar eine Dusche mit warmem Wasser gibt. Wir werden noch
sehen, dass das nicht selbstverständlich ist. Zum Frühstück bekommen wir eine
Kanne bereits gesüßten Kaffee, den sogar Leopold trinkt, weil er kein bisschen
sauer oder bitter schmeckt. Allerdings hat Leopold auch keine andere Chance.
Wie auch in den anderen Gästehäusern später, bekommen wir irgendetwas
vorgesetzt. Auswahl gibt es nicht. Fast immer ist das, was wir bekommen, aber
hervorragend. Diesmal ist es der außergewöhnlich leckere Kaffee. Die Butter ist
ein wenig ranzig. Dazu gibt’s Gebäck, das an unsere Rohrnudeln (allerdings ohne
Füllung) erinnert. Ananasgelee rundet das Breakfast ab.
Am Nachmittag laufen wir in Baucau
herum, kaufen Mitbringsel in einer von Klosterschwestern betriebenen Schule:
Seifen, Freundschaftsbänder, kleine Täschchen aus Tais. Tais heißen die bunten
Stoffbahnen, die die Frauen hier an einfachen Webstühlen weben. Tragetücher für
die Babys sind beispielsweise aus Tais.
Heinz
Wir entdecken einen Aussichtsplatz
und freuen uns über einen spektakulären Sonnenuntergang. Am Abend kommt Holger
und bringt Heinz mit, einen älteren Kollegen mit viel Erfahrung, der uns zum
Essen in die Poussada begleitet. Ich bin irritiert über den Gegensatz. Im
Speisesaal ist weiß gedeckt mit Stoffservietten. Die Bedienung serviert
formvollendet den Wein. Ein Luxusrestaurant zwischen all der Armut. Allerdings
ist das Essen nicht so gut wie in den einfacheren Lokalen vorher. Pauline fragt
Heinz, ob die Mädchen hier heiraten können, wen sie wollen. Er antwortet, dass
es in ländlichen Gebieten noch arrangierte Ehen gibt und dass der Brautpries,
die Mitgift, oft mehrere Büffel sind. Da die Familien diesen Preis oft nicht
zahlen können, entstehen Abhängigkeiten zwischen den Dörfern, die gewollt sind.
In Dili sind arrangierte Ehen nicht mehr üblich. Heinz erzählt auch, dass es in
Timor-Leste bis in die 1970er Jahre Leibeigenschaft gegeben hat. Clanführer
herrschten damals über eines oder mehrere Dörfer. Auch heute gebe es noch viele
alte Strukturen, die seine Arbeit in Landwirtschaftsprojekten schwierig machen.
Da könne es schon mal sein, dass der Zaun um ein mühsam angelegtes Feld
abgerissen wird und Büffel hinein getrieben werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen