Pias und Holgers Haus
Pias und Holgers gelb getünchtes
Haus hat eine geräumige, überdachte Terrasse vor der Eingangstür und wir schauen
uns erst mal um. Der SalaVisita mit gemütlichen dunklen Korbmöbeln gleich
hinter der Eingangstür ist bei Timorern der einzige Bereich, in den Fremde
gebeten werden. Dahinter liegen das große Esszimmer, drei Schlafzimmer, Küche
und Bad.
Mit kühlem Tiger-Bier und
Tonic-Water aus Dosen sitzen wir auf der Terrasse und können es immer noch kaum
fassen, dass wir hier wirklich mit Holger zusammen sitzen. Verhalten stolz
zeigt er uns den Garten. Riesige Bananenstauden, mindestens vier, fünf Meter hoch.
Palmen. Bäume, die ich nicht kenne. Dschungel gleich neben dem Haus, alles
umgeben von einer zwei Meter hohen grauen Steinmauer.
Unter den Stauden und Bäumen
wächst kein Gras, sondern überall liegt grauer Schotter. Befremdlich,
ungewohnt. So stellen wir Deutschen uns keinen Garten vor. Der Schotter hat
einen guten Grund. In Timor-Leste gibt es Moskitos, die Malaria und Dengue
Fieber übertragen. Sie legen ihre Eier sogar in den Wassertropfen ab, die zwischen
den Grashalmen bei Regen zurückbleiben. Wer keine Moskitos will, muss also auf
Rasen verzichten. Holger erzählt von Freunden, die in abgeschlossenen Bereichen
für Ausländer hinter dicken Mauern leben, so genannten Compounds. Die
Ausstattung dort hat einen Standard ähnlich wie bei uns in Deutschland, alles
sehr gepflegt und sauber, mit sattgrünen Rasenflächen – aber vielen, vielen
Moskitos. In solchenCompoundskosten Häuser 1000 bis 5000 Dollar Miete pro
Monat! Holger und Pia zahlen 750 Dollar für ihr gepflegtes, liebevoll gebautes
Haus in Bebonuk, einem Viertel, in dem vor allem Timoresen leben. Allerdings
gibt es beispielsweise kein warmes Wasser in diesem Haus. Im Garten steht auf
einem Beton-Turm ein gelber Hochbehälter, in den eine Pumpe Grundwasser pumpt.
Das Wasser aus dem Hochbehälter ist abends durch die Sonne gut temperiert.
Morgens duscht man kalt. Holger und Pia benutzen das Wasser zum Duschen, für
die Toilette, für die Waschmaschine. Sie waschen auch ihren Salat damit, spülen
ihn danach aber nochmal mit Mineralwasser ab. Auf der Arbeitsplatte in der
Küche steht ein 20-Liter-Kanister, der auf Knopfdruck sauberes Wasser
ausspuckt. Eine zentrale Wasserleitung gibt es nirgends in Timor-Leste. In Dili
haben die meisten Leute wie Pia und Holger ihren eigenen Brunnen. In den
Distrikten werden wir in den Dörfern die öffentlichen Brunnen sehen. Frauen
waschen direkt an der Straße ihre Wäsche oder ihre Haare. Kinder füllen Wasser
in Kanister ab und tragen oder fahren es auf hölzernen Handkarren nach Hause.
Dili für Anfänger
Nach der Erfrischung im Haus fährt
Holger mit uns quer durch Dili zum CazBarBeach. Der heißt so, weil der Name der
ersten Bar dort CazBar war. Auf der Fahrt wieder eine Flut von Eindrücken. Das
völlige Fehlen von Verkehrsschildern. Es gibt in ganz Timor-Leste eine einzige
Ampel. Doch die ist während unseres zweiwöchigen Besuchs außer Betrieb. (Pia
sagt, dass mittlerweile einige Ampeln an den Hauptverkehrskreuzungen stehen und
in Dili sogar Mittelstreifen auf den Hauptverkehrsstraßen aufgemalt sind.) Auch
Wegweiser fehlen völlig. Wer sich nicht auskennt, hat verloren.
Die Fahrt führt am Strand entlang.
Auf kleinen Grills liegen Fische. Viele kleine wie Schaschlik auf einem
Holzspieß oder ein großer ebenfalls auf einem Spieß – erinnert an
Steckerlfisch. Ein Grill am anderen. Dahinter im Sand Tische mit
Plastikstühlen, an denen Timoresen essen. Vorbei am Containerhafen. Viele
riesige Container aufgestapelt. In Timor-Leste gibt es so gut wie keine
Produktion. Alles, was die Menschen zum Leben brauchen oder haben wollen, wird
importiert. Kleidung, Schuhe, Elektrogeräte, Fahrzeuge, Getränkedosen – alles,
alles, alles. Timor-Leste gilt als eins der ärmsten Länder Südostasiens.
Wir lassen die Stadt hinter uns,
erreichen das andere Ende der langgezogenen Bucht, in der Dili liegt, sitzen am
Strand unter Nadelbäumen, deren Namen ich nicht kenne, schlürfen Papaya-,
Bananen- und Avocado-Schoko-Shakes. Leopold ist begeistert von der
Avokado-Schoko-Mischung.
Hier am CazBar Beach reihen sich
einige Bars und Restaurants aneinander. Außer unserem ist nur ein einziger
Tisch besetzt. Die Gastronomie leidet darunter, dass die Vereinten Nationen im vergangenen
Dezember ihre Leute abgezogen haben. Bis zu 12.000Soldaten, Polizisten und
zivile UN-Leute hatten seit dem Jahr 2000 – mit etwa 12 Monaten Unterbrechung -
in Dili gelebt. Sie haben in den Bars und Restaurants gegessen und getrunken
und fehlen jetzt als Wirtschaftsfaktor.
Wir
blicken aufs Meer. Kinder versuchen einen aus Plastiktüten gebastelten Drachen
steigen zu lassen. Baden geht hier niemand. Holger vermutet, dass viele
Abwässer von Dili direkt ins Meer fließen. Egal. Die tief stehende Sonne taucht
den Strand in weiches Licht und verzaubert den Augenblick. Wir sind trotzdem völlig
erledigt. Der Jet Lag. Die vielen Eindrücke. Die Freude, Pia und Holger zu
sehen. Pia kommt von der Arbeit mit dem Roller zu uns und wir freuen uns
einfach da zu sein. Zum Abendessen geht’s ein paar Häuser weiter in ein
thailändisches Restaurant direkt am Strand. Wir sitzen auf dicken Kissen am Boden, essen scharfen Papaya-Salat, frischen gemischten Salat, Grünes Curry, Fisch, während drei Meter entfernt das Meer rauscht. Die Sonne geht unter und wir haben einen Logenplatz. Das Restaurant ist zum Strand hin offen. Fenster gibt es keine. Auch in Pias und Holgers Haus haben die Fenster kein Fensterglas, sondern Moskito-Netze und Fensterläden.
Am Mittwoch,
21.8.2013, müssen Holger und Pia arbeiten. Auf dem Tisch liegen frisch
geerntete Bananen aus dem Garten und wir machen uns zum Frühstück
Bananenshakes. Wow.
Dann kommt Fanti, der Sohn eines
Nachbarn, den Pia und Holger gebeten haben, uns Dili zu zeigen. Fanti freut
sich, dass er mit Holgers Auto fahren darf, bringt uns zuerst zum westlichen
Ende von Dili. Auf einem Berg steht eine Statue von Papst Johannes Paul II. Warum
und wieso kann uns Fanti nicht erklären. Vielleicht versteht er unsere Frage
nicht. Vielleicht weiß er es nicht. Sein Englisch ist so begrenzt, dass wir
mehr mit Händen und Füßen als mit Worten reden.
Geschichte Timor-Lestes
Timor-Leste ist übrigens offiziell
streng katholisch. Der Papst hat mit seinem Besuch dort 1989 den Blick der
Weltöffentlichkeit auf Timor-Leste gelenkt und damit einen wichtigen Beitrag für
den Frieden und die Unabhängigkeit geleistet. Ost-Timor war vier Jahrhunderte
lang portugiesische Kolonie. West-Timor war niederländische Kolonie und gehört
heute zu Indonesien. Nach der Nelkenrevolution 1974 in Portugal erklärte sich
Timor Leste 1975 für unabhängig. Doch schon neun Tage später annektierte das
Nachbarland Indonesien Timor-Leste. Es folgte eine 24jährige
Schreckensherrschaft, ein Terrorregime. Wahllos wurden Menschen in ihren
Häusern erschossen, Frauen vergewaltigt. Viele Timorer gingen als
Widerstandskämpfer in die Berge. Von den damals rund 700.000 Einwohnern wurde
fast ein Drittel ermordet oder kam durch Krankheit und Hunger um. Nach dem
Papstbesuch sollte es aber noch einmal 10 Jahre dauern bis Timor-Leste
unabhängig wurde. Als sich die Indonesier aufgrund der Veränderungen im eigenen
Land 1999 zurückzogen, einte kurzfristig der Jubel über die Unabhängigkeit das
Land. Doch schon bald flammten Kämpfe zwischen einstigen Unterstützern der
Indonesier und Widerstandskämpfern auf. Bis 2002 kam Timor-Leste unter die
Verwaltung der Vereinten Nationen. Danach blieb eine international besetzte „UN
Police“, um die Sicherheit im Land zu garantieren und die lokalen
Sicherheitskräfte auszubilden. 2006 war deren Mandat beendet, sie rückten ab
und es kam nochmals zu Unruhen, in die Militär und Polizei Timor-Lestes
involviert waren und in deren Verlauf fast 200.000 Menschen auf der Flucht
waren, um ihr Leben fürchteten und viele starben. Die Vereinten Nationen
schickten erneut Sicherheitskräfte, die für Ordnung sorgten und Ende 2012
endgültig das Land verließen. Kein Wunder, dass die Menschen nach diesen
Gewalterfahrungen traumatisiert sind, dass Misstrauen herrscht, dass Konflikte
zwischen Nachbarn oder in Familien mit Gewalt anstatt mit Worten ausgetragen
werden. Genau hier setzt Pias Arbeit an, doch dazu später.
Dili für Anfänger II
Von der Papststatue aus blicken
wir über die Bucht von Dili, die vorne vom türkisblauen Meer und hinten von
Bergen begrenzt ist. Direkt vor uns der Aeroporto Internacional mit seiner
einzigen Start- und Landebahn. Zwischenstopp an einem kleinen Friedhof auf dem
nächsten Hügel am Meer. Die Gräber sind meistens gekachelt, in allen möglichen
Pastellfarben: rosa, hellblau, grün. Zwischen den Gräber grasen Ziegen.
Offensichtlich ärmere Leichen liegen unter einem Hügel aus Steinen, die man
wohl in der Umgebung gesammelt hat. Plastikblumen schmücken die Gräber.
Es gibt nur wenige Friedhöfe in
Timor-Leste. Viele Menschen werden noch immer in der Nähe der Häuser begraben,
denn trotz aller Katholizität ist der alte Ahnen- und Geisterkult
allgegenwärtig,glauben die Menschen an Geister, Flüche, Naturwesen. Das geht so
weit, dass ein Kollege von Pia uns nachreist, um uns vor bösen Geistern zu
schützen. Auch dazu später
Fanti fährt mit uns quer durch
Dili, am CazBar Beach vorbei zu Christo Rei. Ein Kreuzweg führt vom Meer hinauf
auf den Berg am anderen Ende der Bucht von Dili, auf dem eine große
Christusstatue auf einer Erdkugel steht. Der Aufstieg über die vielen, vielen
Stufen in der Hitze ist beschwerlich, wird aber belohnt vom engelhaften Gesang
einiger Nonnen, die im Schatten der Statue sitzen und abwechselnd beten und
singen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen