Samstag, 26. Oktober 2013

Auf Besuch in Timor-Leste- Erste Eindruecke



Bonoiti (=Guten Abend auf Tetun und Portugiesisch bzw. „Botardi“ (guten Tag) in Deutschland
Nachdem seit Wochen von einigen Seiten der deutliche Hinweis kam, dass ja SOOO LANGE GAR NICHTS MEHR auf unserem Blog passiert...hier nun endlich der nächste Eintrag. In den letzten Monaten hatten wir die Ehre Besuch von Holgers Familie zu bekommen und seine Cousine Birgit hat einen wunderschönen, beeindruckenden Blog zu Timor-Leste und ihren Eindrücken hier verfasst. Viel Genuss beim Lesen! Liebe Grüsse, Pia und Holger

TIMOR-LESTE                26.10.2013

„Ihr seid Deutsche? Die sind verrückt. Einer, so ein Marathon-Mann ist mit mir den Mount Ramelau hinaufgerannt. Ich war völlig fertig, aber er hat mich angefeuert“, erzählt Rio, unser Führer auf den höchsten Berg in Timor-Leste. Das Flackern des Lagerfeuers, an dem wir uns wärmen, lässt sein Gesicht immer wieder orangerot aufleuchten. Wir lachen, froh darüber, den Aufstieg im Finstern über schmale, felsige Pfade fast geschafft zu haben. Wir rasten knapp unterhalb des Gipfels und warten hier auf den Sonnenaufgang, denn der Wind bläst eisig und ganz oben wird er zu einem kleinen Sturm. Wir lachen und Rio wechselt das Thema. Erzählt, dass während der Besatzungszeit indonesische Soldaten Menschen am Gipfel vor die Wahl gestellt haben zu springen oder erschossen zu werden. „Shoot or jump“. Erzählt, dass die Indonesier die Hirsche hier oben ausgerottet, Menschen, Tiere, Bäume getötet haben.

Immer wieder begegnen uns in Timor-Leste Menschen, die von Gräueln berichten, die erst ein paar Jahre zurück liegen. Das Grauen von Bürgerkrieg, Terrorregime und Widerstandskampf ist allgegenwärtig im Paradies.
Wir steigen die letzten Meter hinauf auf den Mount Ramelau, die Sonne färbt die Wolken unter uns rosa, schickt ihre Strahlen über das Wolkenmeer, lässt die Konturen der benachbarten, niedrigeren Berggipfel erscheinen und dann sehen wir das Meer auf beiden Seiten der Insel. Vom 2963 Meter hohen Gipfel aus (die Zugspitze hat 2962m) sind die Südküste und die Nordküste von Timor-Leste zu erkennen. Die Halbinsel sieht mit viel Fantasie aus wie ein Krokodil. Kein Wunder, dass der Entstehungsmythos der Insel mit einem Krokodil zusammenhängt:

Entstehungsmythos


Es war einmal ein kleines Krokodil, das in einem Tümpel in der Wildnis lebte. Es träumte davon, ein großes Krokodil zu werden, aber es gab zu wenig Nahrung und so wurde es immer dünner und schwächer. Das Krokodil zog aus, um Futter zu finden und ging Richtung Meer. Doch die Sonne schien immer heißer und es war noch weit vom Strand entfernt. Das kleine Krokodil, das rasch austrocknete und verzweifelt war, legte sich hin, um zu sterben. Ein kleiner Junge entdeckte das Krokodil, hatte Mitleid und trug es ans Meer. Das Krokodil erholte sich sofort und sagte dankbar: „Kleiner Junge, Du hast mein Leben gerettet. Wenn ich Dir irgendwann helfen kann, rufe mich. Ich werde kommen.“ Einige Jahre später rief der Junge das Krokodil, das jetzt groß und stark geworden war. „Bruder Krokodil“, sagte er, ich habe auch einen Traum. Ich möchte die Welt sehen“. „Steig auf meinen Rücken“, antwortete das Krokodil, „und sag mir, welchen Weg Du  nehmen willst“. „Folge der Sonne“, sagte der Junge. Das Krokodil wandte sich nach Osten und sie durchquerten viele Jahre lang die Ozeane, bis das Krokodil eines Tages sagte: „Bruder, wir waren lange unterwegs. Jetzt kommt für mich die Zeit zu sterben. In Erinnerung an Deine Güte werde ich mich in eine wunderschöne Insel verwandeln, auf der Du und Deine Nachkommen leben können.“ Und tatsächlich: als das Krokodil starb, wuchs und wuchs es. Aus seinem gezackten Rücken wurden Berge und aus seinen Schuppen die Hügel von Timor. Wenn Menschen in Timor-Leste heute im Meer schwimmen, sagen sie: „Friss mich nicht Krokodil, ich bin Dein Verwandter“. Bis heute verehren die Timorer das Krokodil und nennen es Großvater.


Auf unserer rund 800 Kilometer langen Reise durch Timor-Leste sehen wir verrostete gelbe Schilder an ausgetrockneten Flussbetten, die vor Krokodilen warnen.„Wer ein Krokodil entdeckt, dem spendiere ich einen Eisbecher“, verspricht Holger. Seine Lebensgefährtin Pia und er sind schon ein Jahr in Timor-Leste und haben noch nie ein Krokodil gesehen. Er kann den Eisbecher also leicht versprechen. Mit dem Versprechen einlösen würde es allerdings schwierig, denn es gibt nur eine einzige Eisdiele in

Timor-Leste, und das auch erst seit kurzem. In der Hauptstadt Dili natürlich, in der ersten Einkaufsmall des Landes, dem Timor Plaza, das im Frühjahr 2012 eröffnet wurde. Doch in Dili verbringen wir nur wenige Tage unseres Urlaubs.

Aeroporto Internacional


Am Dienstag, 20.8.2013 nachmittags haben wir Timor-Leste zum ersten Mal vom Flugzeug aus gesehen. Die geteilte Insel, deren Westteil zu Indonesien gehört, unweit der australischen Küste zeigt sich ganz anders als erwartet: Statt giftgrüner Tropen-Hölle braune Hügel, gepunktet mit einzelnen dunkel-matt-grünen Bäumen und Sträuchern. Ein paar dunkelgrüne Wälder. Es ist Trockenzeit. Straßen sind von oben keine zu erkennen, nur einzelne Wege, die sich über die Berge schlängeln. Städte? Fehlanzeige. Bis wir Dili im Anflug erkennen. Eine kleine Ansammlung von Häusern, so sieht es von oben aus. Tatsächlich leben hier 200.000 Menschen; ganz Timor-Leste hat rund 1.000.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Unsere Maschine rollt vorbei an fünf leer stehenden Hangars, in denen bis vor einem halben Jahr die Hubschrauber der UNO-Truppen standen. Die Truppen sind abgezogen. Timor-Leste gilt als befriedetes Land. „Aeroporto Internacional“ lesen wir auf einem verblichenen, blauen Schild mit gelber Schrift unter einem kleinen Blechdach. 

Von der Gangway gehen wir übers Flugfeld auf die Flughafengebäude zu. Da sind nur zwei einstöckige Häuser mit den typischen spitz nach oben zulaufenden Dächern, die wir später auf den UmaLuliks sehen werden. Vor zwei Schaltern bilden sich lange Schlangen. Wir zahlen 100 US-Dollar Einreisegebühr für uns vier, holen unsere Koffer vom viel zu schnell laufenden, einzigen Gepäckband in der schmuddeligen Halle, drängen uns durch die Menge der Taxifahrer, die uns ins Zentrum bringen wollenund draußen erwarten uns strahlend Holger und Pia. Kaum zu glauben. Einmal um die halbe Welt, um die beiden in die Arme zu nehmen. Unwirklich. Pia ist mit ihrem Roller kurz zum Flughafen gekommen, um uns zu begrüßen, und düst zurück ins Büro. Holger hebt unsere Koffer in den Jeep. Ein kleines, dünnes, schmutziges Mädchen spricht ihn an, will für ein paar Cent die Koffer hineinheben. Holger sagt ihr freundlich auf Tetum, dass wir das selbst können.

Erste Eindrücke


Die erste Fahrt durch Dili. Wellblech. So stellen wir uns Slums vor. Verrostetes Wellblech als Dach auf Hütten, deren Wände aus Palmen- oder Bananenblättern geflochten sind. Wellblech als Zaun. Auf den zweiten Blick stehen hinter den meisten Zäunen Steinhäuser, oft aus grauen Steinen gemauert, ohne Anstrich. Auf den dritten Blick ist es gar nicht so viel Wellblech. Sehr viele Grundstücke liegen hinter hohen Mauern, viele wieder einfach grau, andere schmuck gestrichen. Die Tore sind aus rostigen Metallplatten oder filigran geschweißt. Garagenartige Bauten dienen als Läden für alles Mögliche. Eine Schreinerwerkstatt mit halbfertigen Kolonialmöbeln. Eine Werkstätte für Roller und Motorräder. Kleidung auf großen Haufen. Bananen. Überall Stände mit Gemüse und Früchten. Die Kartoffeln sind sorgfältig aufgestapelt zu kleinen Pyramiden. Eine neben der anderen auf dem Holzbrett unter dem geflochtenen Palmendach. Salatköpfe sind aufgefädelt zu dicken Büscheln und hängen von dem Dach.
Die Straße vom Flughafen nach Bebonuk, dem Stadtteil, in dem Holger und Pia wohnen, ist anfangs zweispurig. Gelbe Taxis, Jeeps mit verspiegelten Scheiben, knallbunt lackierte, überfüllte Kleinbusse, die so genannten Mikrolets, Roller, Motorräder wuseln durcheinander. Holger behält routiniert den Ãœberblick, fährt auf der linken Seite – sehr ungewohnt für uns. Ein Mann lenkt sein Motorrad mit einem Hahn unter dem Arm. Wir biegen ab von der Hauptstraße und schon hatder Asphalt Schlaglöcher, DinA-4-Blatt- kleine und mehrere Quadratmeter große. Die asphaltierte Straße ist schmal und wenn Holger einem anderen Fahrzeug ausweicht, wirbelt Staub auf. Vor einem Haus steht ein Mann mit einem Gartenschlauch und besprengt den Staub mit Wasser. Wir biegen in ein winziges Gässchen ein und sind endlich da. 


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