Samstag, 26. Oktober 2013

Ein paar Geheimnisse des Tetum - Haustür Pia




Alle wollen wissen, woher wir kommen und warum wir hier sind. Ich antworte auf Englisch und wir verstehen uns einigermaßen. Ich spreche in paar Mal von Pia und merke, dass da irgendwas nicht stimmt. Die Mädchen sprechen von ihr als Mana Pia. Es gilt nämlich als unhöflich, über eine ältere Person nur mit dem Namen zu sprechen oder sie nur mit dem Namen anzusprechen. Man setzt immer „Mana“ vor den Namen. Mana bedeutet große Schwester. Maun bedeutet großer Bruder. Mana Pia und Maun Holger also. Ganz alte Leute sind dann Tia oder Tiu und Kinder sind Alin.  Wenn man aber eine Person mit Tia anspricht und sie sich noch gar nicht so alt fühlt, ist man wieder in den Fettnapf getreten. Allerdings würden die Timoresen niemals direkt sagen, dass man etwas falsch gemacht hat. Höflichkeit ist das wichtigste. Es wird immer und überall höflich gelächelt. Direkte Kritik gibt es nicht. Bei vorsichtiger Kritik fühlen sich die Kritisierten sofort auf den Schlips getreten. Möglicherweise sind das Auswirkungen der jahrzehntelangen Gewaltherrschaft. Und es werden immer Höflichkeiten ausgetauscht, bevor man zur Sache kommt. Pia findet das manchmal anstrengend.
Holger hat mit dieser Höflichkeit eine ganz eigene Erfahrung gemacht. Als er neu in Dili war, hat er über Pia immer als seine Lebensgefährtin Pia gesprochen, auf Tetum Odamatan.Alle Timoresen haben freundlich genickt. Wochenlang. Bis er gemerkt hat, dass das Wort OdamatanHaustür bedeutet und er eigentlich das Wort Namurada verwenden wollte. Er hat Pia also immer als seine Haustür vorgestellt und bezeichnet.

Benedict hat irgendwann den Workshop verlassen und sich zu anderen Jugendlichen im Jugendzentrum gesellt. Ein Mädchen wollte Deutsch lernen und hatte dazu ein Buch, das mit Fehlern gespickt war. Benni hat versucht, ihr auf Englisch zu erklären, was alles falsch war. So war auch er schnell mit jungen Timoresen im Gespräch.
Am Freitag, 23. August 2013, sind wir vormittags im Jugendzentrum und nachmittags im Schwimmbad. Dem einzigen Schwimmbad in Timor-Leste. Die Portugiesen haben es gebaut. Frisches Quellwasser füllt das eine große Becken. Drumherum sind Liegen aus Beton, dahinter Liegewiesen mit runden, fest installierten Sonnenschirmen aus Schilf, eingebettet in einen Garten mit Palmen und anderen großen Bäumen. Endlich mal liegen, chillen, lesen, schlafen, schwimmen. 
 

Die Nacht haben wir zum ersten Mal in einem Guesthouse verbracht. Einfacher Standard für uns. Pia allerdings ist überrascht, dass es sogar eine Dusche mit warmem Wasser gibt. Wir werden noch sehen, dass das nicht selbstverständlich ist. Zum Frühstück bekommen wir eine Kanne bereits gesüßten Kaffee, den sogar Leopold trinkt, weil er kein bisschen sauer oder bitter schmeckt. Allerdings hat Leopold auch keine andere Chance. Wie auch in den anderen Gästehäusern später, bekommen wir irgendetwas vorgesetzt. Auswahl gibt es nicht. Fast immer ist das, was wir bekommen, aber hervorragend. Diesmal ist es der außergewöhnlich leckere Kaffee. Die Butter ist ein wenig ranzig. Dazu gibt’s Gebäck, das an unsere Rohrnudeln (allerdings ohne Füllung) erinnert. Ananasgelee rundet das Breakfast ab.
Am Nachmittag laufen wir in Baucau herum, kaufen Mitbringsel in einer von Klosterschwestern betriebenen Schule: Seifen, Freundschaftsbänder, kleine Täschchen aus Tais. Tais heißen die bunten Stoffbahnen, die die Frauen hier an einfachen Webstühlen weben. Tragetücher für die Babys sind beispielsweise aus Tais.

Heinz


Wir entdecken einen Aussichtsplatz und freuen uns über einen spektakulären Sonnenuntergang. Am Abend kommt Holger und bringt Heinz mit, einen älteren Kollegen mit viel Erfahrung, der uns zum Essen in die Poussada begleitet. Ich bin irritiert über den Gegensatz. Im Speisesaal ist weiß gedeckt mit Stoffservietten. Die Bedienung serviert formvollendet den Wein. Ein Luxusrestaurant zwischen all der Armut. Allerdings ist das Essen nicht so gut wie in den einfacheren Lokalen vorher. Pauline fragt Heinz, ob die Mädchen hier heiraten können, wen sie wollen. Er antwortet, dass es in ländlichen Gebieten noch arrangierte Ehen gibt und dass der Brautpries, die Mitgift, oft mehrere Büffel sind. Da die Familien diesen Preis oft nicht zahlen können, entstehen Abhängigkeiten zwischen den Dörfern, die gewollt sind. In Dili sind arrangierte Ehen nicht mehr üblich. Heinz erzählt auch, dass es in Timor-Leste bis in die 1970er Jahre Leibeigenschaft gegeben hat. Clanführer herrschten damals über eines oder mehrere Dörfer. Auch heute gebe es noch viele alte Strukturen, die seine Arbeit in Landwirtschaftsprojekten schwierig machen. Da könne es schon mal sein, dass der Zaun um ein mühsam angelegtes Feld abgerissen wird und Büffel hinein getrieben werden.


Holgers Arbeit besteht derzeit übrigens vor allem darin, die Arbeit von Leuten wie Heinz, der ein Landwirtschaftsprojekt leitet, zu dokumentieren. Oft ist es in der Entwicklungshilfe so, dass Mitarbeiter Projekte durchführen und nach deren Abschluss in ein anderes Land wechseln. Dann kommt der nächste Mitarbeiter und fängt bei Null an. Damit künftig mehr Kontinuität herrschen kann, kümmert sich Holger darum, dass die verschiedenen Projektschritte, Hindernisse, Ziele, Ergebnisse etc dokumentiert sind und Nachfolgern zur Verfügung stehen. Und er installiert in Timor-Leste Prozesse, mit deren Hilfe künftig Projekte intern und extern besser geprüft werden können, deren Sinn aber auch die Außendarstellung ist. Er hält beispielsweise auch Kontakt zur Presse in Timor-Leste, um auf die Deutsche Zusammenarbeit aufmerksam zu machen und damit die Akquise neuer Projekte zu unterstützen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen