Samstag, 26. Oktober 2013

Auf nach Baucau



Wir verlassen Dili mit Pia und zwei ihrer Kolleginnen in einem Dienstwagen mit Fahrer in Richtung Baucau. Das ist mit rund 50.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Timor-Leste. Adelina und die andere Kollegin diskutieren mit dem Fahrer darüber, welche Straße sie nehmen sollen und entscheiden sich für eine Panorama-Straße, damit wir die Schönheit ihrer Insel genießen können. Wieder müssen wir von Dili aus hinauf in die Berge, die die Stadt auf drei Seiten einschließen. Kaum haben wir den ersten Bergrücken überquert sind wir in einer anderen Welt. Kein Hupen und Lärm mehr, kein Gewusel, sondern eine einsame, gut asphaltierte, aber schmale Straße am türkisblauen Meer entlang. Landschaften mit braunen Hügeln, gesprenkelt mit Bäumen mit weißen Stämmen rechts von uns, die Strände links von uns. Immer wieder einzelne Häuser. Schweine, Ziegen, graue Rinder mit langen Hörnern laufen frei herum. Ich sehe die ersten Reisfelder meines Lebens. Fischerdörfer, in denen Boote am Strand liegen. Menschen, die Holz sammeln. 
Gekocht wird in den Häusern meist auf offenem Feuer. Viele Timoresen leiden deshalb unter Atemwegsproblemen. Wir machen Halt an einer Imbissbude. Auf einem grob gezimmerten Holztisch unter einem Blechdach liegen auf Plastiktellern mit

roten Gewürzen bestreute, auf Spieße gesteckte, gebratene Fische. Adelina kauft gleich mehrere, weil sie die so gerne mag und man in Dili angeblich keine so guten und günstigen wie hier auf dem Dorf bekommt. Hinter der Verkaufstheke stehen wie fast überall an den Ständen junge Frauen. Dahinter stehen ein paar Tische, an denen andere Reisende sitzen und essen. Mc Donalds auf Timorisch.

Baucau


Gegen Mittag erreichen wir Baucau, mit 50.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in TimorLeste. Mit einer Stadt nach unseren Vorstellungen hat diese Siedlung allerdings nichts zu tun. Weitläufige, bewaldete, zum Meer hin abfallende Hügel, an denen weit verstreut Häuser stehen, die nicht über Straßen, sondern über schmale Wege und Trampelpfade zu erreichen sind. Bei uns besteht eine Stadt aus Straßen, Beton, Häusern, Geschäften. Baucau ist Natur mit ein paar Häusern. 

Im Stadtzentrum gibt’s immerhin einen Kreisverkehr – natürlich ohne Verkehrsschilder, Wegweiser oder Fahrbahnkennzeichnungen - , einen Markt mit vielen aneinandergereihten Ständen und einige Relikte aus portugiesischer Zeit: das Markthallengebäude, das gerade renoviert wird, erinnert mit zwei Türmen an eine Burg. Aus der Poussada mit ihrer herrschaftlichen Freitreppe und den zierlichen Säulen in altrosa könnte mit etwas Fantasie jederzeit eine portugiesische Dame im Reifrock heraustreten. Heute ist die Poussada ein Hotel. Früher,in portugiesischer Zeit, war es der Sitz der Kolonialverwaltung von Baucau, später wurde es von der indonesischen Verwaltung genutzt und um ein Gefängnis erweitert.

Pias Arbeit


Pia und ihre Kolleginnen sind in Baucau, um im Jugendzentrum einen Workshop zur Gewaltprävention abzuhalten. Etwa zwanzig junge Leute kommen. Pia zeigt einen etwa fünfminütigen Film mit FetoFantastiku.  Der Film ist ebenfalls als Teil eines von der Deutschen Zusammenarbeit geförderten Projektes entstanden. FetoFantastiku ist eine Art Superwomen mit einem Umhang und einem Krönchen, die in Konfliktsituationen erscheint und Menschen hilft, Konflikte friedlich zu lösen. (Die Filme sind auch auf Youtube zu finden). In dem heute gezeigten Spot spielt ein kleines Mädchen vor einem Haus mit einem Feuerzeug. Ihr Vater kommt aus dem Haus, ist entsetzt, weil das Kind mit Feuer spielt und holt aus, um sie zu schlagen. Da erscheint FetoFantastiku und sagt: „Halt“. Sie erklärt den Eltern, dass es schlecht ist für die Entwicklung des Kindes, wenn es geschlagen wird, dass das Kind wieder zündelt, weil es nicht weiß, warum es das nicht tun soll. Stattdessen sollen die Eltern dem Kind liebevoll erklären, was es falsch macht. Dann lernt das Kind mit Gefahren umzugehen; die Beziehung zwischen Eltern und Kind wird gestärkt. FetoFantastiku verabschiedet sich und die Szene vom Anfang wird noch einmal gespielt, doch diesmal schlägt der Vater das Mädchen nicht, sondern spricht mit ihr. „Affig“, findet Leopold den sehr laienhaft gemachten Film, aber die timorischen Jugendlichen sind begeistert. FetoFantastikukennen mittlerweile alle, denn die Spots aus dem Jugendprojekt werden sogar im Fernsehen in Timor-Leste gezeigt. Die junge Frau, die die Titelfigur spielt, wird  auf der Straße erkannt und angesprochen.


Nach dem Film teilt Adelina Fragebögen aus. Die Jugendlichen sollen einfache Fragen beantworten, beispielsweise warum es gut ist, einem Kind etwas zu erklären und nicht gleich zu schlagen. Die Fragebögen sind eine große Herausforderung. Kaum jemand schafft es, die Inhalte des Films widerzugeben. Der Transfer, wie sie die Botschaft des Films im eigenen Leben umsetzen können, ist völlig unmöglich. Kein Reflexionsvermögen. Ich bin entsetzt. Das müssen bei uns Kinder in der Grundschule können.
Pia erklärt mir später, dass das Bildungsniveau an den Schulen in Timor-Leste sehr niedrig ist. Viele Lehrer sind schlecht ausgebildet. Unterrichtet wird grundsätzlich in der Landessprache Tetum. Eigentlich soll ab der dritten Klasse Portugiesisch dazu kommen.

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