Samstag, 26. Oktober 2013

Dili für Anfänger



Pias und Holgers Haus


Pias und Holgers gelb getünchtes Haus hat eine geräumige, überdachte Terrasse vor der Eingangstür und wir schauen uns erst mal um. Der SalaVisita mit gemütlichen dunklen Korbmöbeln gleich hinter der Eingangstür ist bei Timorern der einzige Bereich, in den Fremde gebeten werden. Dahinter liegen das große Esszimmer, drei Schlafzimmer, Küche und Bad.
Mit kühlem Tiger-Bier und Tonic-Water aus Dosen sitzen wir auf der Terrasse und können es immer noch kaum fassen, dass wir hier wirklich mit Holger zusammen sitzen. Verhalten stolz zeigt er uns den Garten. Riesige Bananenstauden, mindestens vier, fünf Meter hoch. Palmen. Bäume, die ich nicht kenne. Dschungel gleich neben dem Haus, alles umgeben von einer zwei Meter hohen grauen Steinmauer. 


Unter den Stauden und Bäumen wächst kein Gras, sondern überall liegt grauer Schotter. Befremdlich, ungewohnt. So stellen wir Deutschen uns keinen Garten vor. Der Schotter hat einen guten Grund. In Timor-Leste gibt es Moskitos, die Malaria und Dengue Fieber übertragen. Sie legen ihre Eier sogar in den Wassertropfen ab, die zwischen den Grashalmen bei Regen zurückbleiben. Wer keine Moskitos will, muss also auf Rasen verzichten. Holger erzählt von Freunden, die in abgeschlossenen Bereichen für Ausländer hinter dicken Mauern leben, so genannten Compounds. Die Ausstattung dort hat einen Standard ähnlich wie bei uns in Deutschland, alles sehr gepflegt und sauber, mit sattgrünen Rasenflächen – aber vielen, vielen Moskitos. In solchenCompoundskosten Häuser 1000 bis 5000 Dollar Miete pro Monat! Holger und Pia zahlen 750 Dollar für ihr gepflegtes, liebevoll gebautes Haus in Bebonuk, einem Viertel, in dem vor allem Timoresen leben. Allerdings gibt es beispielsweise kein warmes Wasser in diesem Haus. Im Garten steht auf einem Beton-Turm ein gelber Hochbehälter, in den eine Pumpe Grundwasser pumpt. Das Wasser aus dem Hochbehälter ist abends durch die Sonne gut temperiert. Morgens duscht man kalt. Holger und Pia benutzen das Wasser zum Duschen, für die Toilette, für die Waschmaschine. Sie waschen auch ihren Salat damit, spülen ihn danach aber nochmal mit Mineralwasser ab. Auf der Arbeitsplatte in der Küche steht ein 20-Liter-Kanister, der auf Knopfdruck sauberes Wasser ausspuckt. Eine zentrale Wasserleitung gibt es nirgends in Timor-Leste. In Dili haben die meisten Leute wie Pia und Holger ihren eigenen Brunnen. In den Distrikten werden wir in den Dörfern die öffentlichen Brunnen sehen. Frauen waschen direkt an der Straße ihre Wäsche oder ihre Haare. Kinder füllen Wasser in Kanister ab und tragen oder fahren es auf hölzernen Handkarren nach Hause.

Dili für Anfänger


Nach der Erfrischung im Haus fährt Holger mit uns quer durch Dili zum CazBarBeach. Der heißt so, weil der Name der ersten Bar dort CazBar war. Auf der Fahrt wieder eine Flut von Eindrücken. Das völlige Fehlen von Verkehrsschildern. Es gibt in ganz Timor-Leste eine einzige Ampel. Doch die ist während unseres zweiwöchigen Besuchs außer Betrieb. (Pia sagt, dass mittlerweile einige Ampeln an den Hauptverkehrskreuzungen stehen und in Dili sogar Mittelstreifen auf den Hauptverkehrsstraßen aufgemalt sind.) Auch Wegweiser fehlen völlig. Wer sich nicht auskennt, hat verloren.
Die Fahrt führt am Strand entlang. Auf kleinen Grills liegen Fische. Viele kleine wie Schaschlik auf einem Holzspieß oder ein großer ebenfalls auf einem Spieß – erinnert an Steckerlfisch. Ein Grill am anderen. Dahinter im Sand Tische mit Plastikstühlen, an denen Timoresen essen. Vorbei am Containerhafen. Viele riesige Container aufgestapelt. In Timor-Leste gibt es so gut wie keine Produktion. Alles, was die Menschen zum Leben brauchen oder haben wollen, wird importiert. Kleidung, Schuhe, Elektrogeräte, Fahrzeuge, Getränkedosen – alles, alles, alles. Timor-Leste gilt als eins der ärmsten Länder Südostasiens.
Wir lassen die Stadt hinter uns, erreichen das andere Ende der langgezogenen Bucht, in der Dili liegt, sitzen am Strand unter Nadelbäumen, deren Namen ich nicht kenne, schlürfen Papaya-, Bananen- und Avocado-Schoko-Shakes. Leopold ist begeistert von der Avokado-Schoko-Mischung. 

Hier am CazBar Beach reihen sich einige Bars und Restaurants aneinander. Außer unserem ist nur ein einziger Tisch besetzt. Die Gastronomie leidet darunter, dass die Vereinten Nationen im vergangenen Dezember ihre Leute abgezogen haben. Bis zu 12.000Soldaten, Polizisten und zivile UN-Leute hatten seit dem Jahr 2000 – mit etwa 12 Monaten Unterbrechung - in Dili gelebt. Sie haben in den Bars und Restaurants gegessen und getrunken und fehlen jetzt als Wirtschaftsfaktor.
Wir blicken aufs Meer. Kinder versuchen einen aus Plastiktüten gebastelten Drachen steigen zu lassen. Baden geht hier niemand. Holger vermutet, dass viele Abwässer von Dili direkt ins Meer fließen. Egal. Die tief stehende Sonne taucht den Strand in weiches Licht und verzaubert den Augenblick. Wir sind trotzdem völlig erledigt. Der Jet Lag. Die vielen Eindrücke. Die Freude, Pia und Holger zu sehen. Pia kommt von der Arbeit mit dem Roller zu uns und wir freuen uns einfach da zu sein. Zum Abendessen geht’s ein paar Häuser weiter in ein thailändisches
Restaurant direkt am Strand. Wir sitzen auf dicken Kissen am Boden, essen scharfen Papaya-Salat, frischen gemischten Salat, Grünes Curry, Fisch, während drei Meter entfernt das Meer rauscht. Die Sonne geht unter und wir haben einen Logenplatz. Das Restaurant ist zum Strand hin offen. Fenster gibt es keine. Auch in Pias und Holgers Haus haben die Fenster kein Fensterglas, sondern Moskito-Netze und Fensterläden. 



Am Mittwoch, 21.8.2013, müssen Holger und Pia arbeiten. Auf dem Tisch liegen frisch geerntete Bananen aus dem Garten und wir machen uns zum Frühstück Bananenshakes. Wow.
Dann kommt Fanti, der Sohn eines Nachbarn, den Pia und Holger gebeten haben, uns Dili zu zeigen. Fanti freut sich, dass er mit Holgers Auto fahren darf, bringt uns zuerst zum westlichen Ende von Dili. Auf einem Berg steht eine Statue von Papst Johannes Paul II. Warum und wieso kann uns Fanti nicht erklären. Vielleicht versteht er unsere Frage nicht. Vielleicht weiß er es nicht. Sein Englisch ist so begrenzt, dass wir mehr mit Händen und Füßen als mit Worten reden.

Geschichte Timor-Lestes


Timor-Leste ist übrigens offiziell streng katholisch. Der Papst hat mit seinem Besuch dort 1989 den Blick der Weltöffentlichkeit auf Timor-Leste gelenkt und damit einen wichtigen Beitrag für den Frieden und die Unabhängigkeit geleistet. Ost-Timor war vier Jahrhunderte lang portugiesische Kolonie. West-Timor war niederländische Kolonie und gehört heute zu Indonesien. Nach der Nelkenrevolution 1974 in Portugal erklärte sich Timor Leste 1975 für unabhängig. Doch schon neun Tage später annektierte das Nachbarland Indonesien Timor-Leste. Es folgte eine 24jährige Schreckensherrschaft, ein Terrorregime. Wahllos wurden Menschen in ihren Häusern erschossen, Frauen vergewaltigt. Viele Timorer gingen als Widerstandskämpfer in die Berge. Von den damals rund 700.000 Einwohnern wurde fast ein Drittel ermordet oder kam durch Krankheit und Hunger um. Nach dem Papstbesuch sollte es aber noch einmal 10 Jahre dauern bis Timor-Leste unabhängig wurde. Als sich die Indonesier aufgrund der Veränderungen im eigenen Land 1999 zurückzogen, einte kurzfristig der Jubel über die Unabhängigkeit das Land. Doch schon bald flammten Kämpfe zwischen einstigen Unterstützern der Indonesier und Widerstandskämpfern auf. Bis 2002 kam Timor-Leste unter die Verwaltung der Vereinten Nationen. Danach blieb eine international besetzte „UN Police“, um die Sicherheit im Land zu garantieren und die lokalen Sicherheitskräfte auszubilden. 2006 war deren Mandat beendet, sie rückten ab und es kam nochmals zu Unruhen, in die Militär und Polizei Timor-Lestes involviert waren und in deren Verlauf fast 200.000 Menschen auf der Flucht waren, um ihr Leben fürchteten und viele starben. Die Vereinten Nationen schickten erneut Sicherheitskräfte, die für Ordnung sorgten und Ende 2012 endgültig das Land verließen. Kein Wunder, dass die Menschen nach diesen Gewalterfahrungen traumatisiert sind, dass Misstrauen herrscht, dass Konflikte zwischen Nachbarn oder in Familien mit Gewalt anstatt mit Worten ausgetragen werden. Genau hier setzt Pias Arbeit an, doch dazu später.

Dili für Anfänger II


Von der Papststatue aus blicken wir über die Bucht von Dili, die vorne vom türkisblauen Meer und hinten von Bergen begrenzt ist. Direkt vor uns der Aeroporto Internacional mit seiner einzigen Start- und Landebahn. Zwischenstopp an einem kleinen Friedhof auf dem nächsten Hügel am Meer. Die Gräber sind meistens gekachelt, in allen möglichen Pastellfarben: rosa, hellblau, grün. Zwischen den Gräber grasen Ziegen. Offensichtlich ärmere Leichen liegen unter einem Hügel aus Steinen, die man wohl in der Umgebung gesammelt hat. Plastikblumen schmücken die Gräber. 

Es gibt nur wenige Friedhöfe in Timor-Leste. Viele Menschen werden noch immer in der Nähe der Häuser begraben, denn trotz aller Katholizität ist der alte Ahnen- und Geisterkult allgegenwärtig,glauben die Menschen an Geister, Flüche, Naturwesen. Das geht so weit, dass ein Kollege von Pia uns nachreist, um uns vor bösen Geistern zu schützen. Auch dazu später
Fanti fährt mit uns quer durch Dili, am CazBar Beach vorbei zu Christo Rei. Ein Kreuzweg führt vom Meer hinauf auf den Berg am anderen Ende der Bucht von Dili, auf dem eine große Christusstatue auf einer Erdkugel steht. Der Aufstieg über die vielen, vielen Stufen in der Hitze ist beschwerlich, wird aber belohnt vom engelhaften Gesang einiger Nonnen, die im Schatten der Statue sitzen und abwechselnd beten und singen.

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